Fußballfieber
von Redaktion

Ich bin positiv: Die EM-Begeisterung hat mich infiziert

Wenn aus Autofenstern Deutschlandflaggen flattern, das Fernsehen Rekordquoten verbucht und die Sozialen Medien von Nationalelf-Kommentaren überflutet werden, mutieren plötzlich alle zum Fußballfachmann oder zur Fußballfachfrau. Es ist ein Ereignis, das Menschen verbindet, Hoffnung schafft und unser Sorgenkind Corona endlich auf die Auswechselbank schickt. Auf einmal reden alle über Hummels und Rüdiger, lernen den Spielplan auswendig und setzen auf den nächsten Europameister.

So auch in unserer Tippgemeinschaft, in der nicht nur ganzjährige Experten mit ihrem Wissen glänzen. Denn es sind gerade die Kenner, die am Ende mit leeren Händen dastehen – das Glück scheint mit den Unwissenden zu sein. Der Ehrgeiz packt uns alle, insbesondere, wenn mehrere Wetten gleichzeitig laufen: Zwar geht es um Geld und um einen EM-Ball mit den Unterschriften aller Tippenden, doch Ruhm und Ehre gelten als wichtigste Preise.

"Manche Leute halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich kann Ihnen versichern, es ist sehr viel wichtiger", brachte der schottische Fußballstar Bill Shankly die einzigartige Stellung des Fußballs schon vor Jahrzehnten auf den Punkt. Wie jedes Kulturgut stellt die Sportart eine Flucht aus dem Alltag dar, ein Ventil für Emotionen und einen Wettkampf auf spielerischer Ebene. Es ist die Kombination aus Unberechenbarkeit und einem simplen Konzept, zu dem alle sofort einen Zugang finden. Und wenn es auf die Europameisterschaft zugeht, verstärken sich diese Aspekte: Endlich dürfen wir patriotisch sein, und fahnenschwenkend entsteht ein Gefühl der Gemeinschaft und des Zusammenhalts.

Zugegeben, dieses Jahr entfesselt das Fußball-Highlight weniger Begeisterung als gewohnt. Einen Haufen Fußballspieler quer durch Europa zu karren ist weder nachhaltig noch pandemiegerecht zumal vor Zuschauermengen. Hinzu kommt die Sonderstellung, die der Fußball ohnehin genießt. Im Gegensatz zum Kulturbetrieb konnten Bundesligaspiele fast durchgehend stattfinden, was dem Ganzen einen faden Beigeschmack verleiht.

Doch wenn am Abendbrottisch aus erstaunlicher Richtung die „defensive Taktik“ verteufelt und der Fernseher angeschrien wird, ist Leidenschaft hörbar. Es ist ein gemeinsamer Nenner und bietet immer Diskussionsstoff: Gelbe Karten, fiese Fußballerfrisuren, Tätowierungen, alte Bekannte flitzen über den Bildschirm, dazu neue Talente, die sich erst langsam in unser Gedächtnis schleichen. Ohne Frage werden wir am Ende der EM die gesamte Nationalelf herunter rattern können. Nur um sie dann zwei Wochen später wieder vergessen zu haben – bis zum nächsten Mal, 2022 in Katar.

In diesem Moment höre ich Kindern vor dem Fenster beim Torjubel auf dem Bolzplatz zu und habe meinen Bruder vor Augen, der schon als Vierjähriger mit blauen Schienbeinen und zerfledderten Straßenschuhen aus dem Kindergarten kam. Ich interessiere mich nur alle zwei Jahre für das Ballgeschiebe, und doch merke ich immer wieder, wie tief die Wurzeln des Fußballs in unsere Gesellschaft reichen.

 

Merle (17), Q1 Gymnasium, Lerngruppe J2

Bildquellen: pixabay.com

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